Wem nützt ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr? Zu den Potentialen und Grenzen von Pflichtdiensten für die Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenhalts

Freiwilligendienste im sozialen Bereich ermöglichen bei guten Bedingungen persönlichkeits- und berufsbildende Erfahrungen, interessieren Menschen für soziale Berufe und stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Schon heute entlasten Freiwilligendienstleistende Einrichtungen und Dienste in ihrer personellen Abdeckung. In Zeiten des Fachkräftemangels, zunehmender äußerer Bedrohungen sowie gesellschaftlicher Verwerfungen geraten ein sozialer und (alternativ) militärischer Pflichtdienst verstärkt als Option in den Blick fach- und gesellschaftspolitischer Debatten. Kann sich ein verpflichtender Gesellschaftsdienst für alle Geschlechter als sinnvoll und realisierbar erweisen? Würden damit gesellschaftliche Teilhabe, Resilienz und Zusammenhalt gefördert? Würden die derzeitigen positiven Effekte und Strukturen von Freiwilligendiensten beeinträchtigt und würde in nicht zu rechtfertigender Weise in die Freiheitsrechte junger Menschen eingegriffen? Wie könnte die derzeit diskutierte Rücknahme der Aussetzung der Wehrpflicht für Männer (und damit eine Wiedereinführung des Wehrersatzdienstes für Männer) das System der Freiwilligendienste verändern? Bieten sich weitere Lösungsansätze an? Was können Einrichtungen und Trägerorganisationen dafür tun, junge Menschen, die einen Gesellschaftsdienst leisten, als Mitarbeitende von morgen zu gewinnen?

Chancen und Risiken eines verpflichtenden Gesellschaftsdienstes waren Gegenstand der Podiumsdiskussion, moderiert durch den Vorsitzenden des Fachausschusses Soziale Berufe und Bürgerschaftliches Engagement des Deutschen Vereins, Herrn Professor Züchner. Während Befürworter*innen wie Frau Unger für die Konrad-Adenauer-Stiftung und Landrat Eichinger für den Deutschen Landkreistag  ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr als „Chancenzeit“ zur Stärkung von Resilienz, Berufsorientierung und Fachkräftegewinnung sehen, warnten Herr Placke für die Bertelsmann-Stiftung und Frau Hoorn für den Bundesarbeitskreis Freiwilliges Soziales Jahr vor einer nostalgischen Verklärung des Zivildienstes und verwiesen auf die hohen verfassungsrechtlichen Hürden sowie hohe Kosten (bis zu 20 Mrd. Euro jährlich).

Für die Träger sozialer Dienste könnte ein Pflichtdienst kurzfristig Entlastung bringen und als Brücke in soziale Berufe wirken. Gleichzeitig bestehen organisatorische Unsicherheiten: Ohne klare Rahmenbedingungen und faire Honorierung drohen Überforderung der Systeme und Demotivation der vorwiegend jungen Menschen.

Podiumsteilnehmer und Publikum waren sich einig, dass Freiwilligendienste bereits heute Einrichtungen entlasten, berufliche sowie persönliche Orientierung fördern und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken. In Bezug auf einen Pflichtdienst reagierte das Publikum ambivalent: Einerseits wurde der Fachkräftemangel als starkes Argument angeführt, andererseits wurden Bedenken hinsichtlich Geschlechtergerechtigkeit und der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Freiheitsrechte geäußert. Betont wurde zudem der Bedarf an ausreichender Finanzierung, Beratung und gezielter Information, um Freiwilligendienste für alle (jungen) Menschen zugänglich und attraktiver zu gestalten.

Veranstaltungsnummer

1.6

Datum

17.09.2025 (Mittwoch)

Uhrzeit

11.00 Uhr - 12.30 Uhr

Raum

Adam Ries (2. OG)

Speaker*innen

Moderation